Interview mit Filmemacher Jörg Eichinger
Der Film „Die Stimme der Donau“ wurde im Matinee des Münchner Flussfilmfests 2019 gezeigt. Im Auftrag des WWF Deutschland interviewte ich den Filmemacher.
Herr Eichinger, Ihr Film, der auf dem Flussfilmfest in München gezeigt wird, heißt „Die Stimme der Donau“. Was würde die Donau sagen, wenn sie sprechen könnte?
Jürgen Eichinger: Die Donau würde sagen, dass nur ein freier Fluss wirklich leben kann! Ein Fluss braucht Freiräume, wie jeder Mensch auch, keine Uferdämme wie ein Korsett. Nur ein freier Fluss kann sich voll entfalten und seine natürliche Dynamik für die Landschaft und Natur entwickeln. Wenn man ihn in ein Bett zwängt, würgt man ihn ab und er verliert seine Charakteristik.
In Ihrem Film geht es hauptsächlich um den Donauabschnitt zwischen Straubing und Vilshofen, der noch etwas naturbelassener ist als viele andere Abschnitte der Donau. Sie selber stammen aus Rotthalmünster (Lkr. Passau), nicht allzu weit von diesem Abschnitt entfernt. Ist dieses Stück Donau für Sie ein besonderes Stück Heimat?
Jürgen Eichinger [lacht]: Naja, meine Heimat liegt rund 60 Kilometer von dort entfernt. Aus dem Allgäu gesehen ist das natürlich in der Nähe…
Ich muss zu meinem Leidwesen gestehen, dass ich das Eck da oben auch nicht so gut gekannt habe, auch wenn ich auf der Autobahn viele Male an diesem Donauabschnitt vorbeigefahren bin. Und dann habe ich durch die Dreharbeiten diese wunderschönen Ecken kennengelernt, mit im Sommer oft kilometerweise Kies- und Sandstränden, die nur die Einheimischen kennen und recht vernünftig nutzen. Nicht so wie an der Münchner Isar mit Massentourismus, Dreck und Verschmutzung. Das hat mich persönlich dann auch sehr verbunden.
Das heißt, dass ein natürlicher Fluss auch den Menschen entgegenkommt?
Jürgen Eichinger: Wer hält schon gern seine Füße über die Betonrampen ins Wasser? Wenn man die Donau in ihrem natürlichen Abschnitt erlebt, erkennt man wie schade es ist, dass wir das alles verloren haben. Das ist so ein großer Verlust an Lebensqualität! Wenn die Flüsse viel mehr Freiräume hätten und die Leute vor Ort die Natur genießen könnten, dann gäbe es den Erholungsdruck an den anderen „letzten Ecken“ nicht so stark.
Wie sind Sie auf die Idee für den Film „die Stimme der Donau“ gekommen?
Jürgen Eichinger: Wir haben einen Film in der ARD-Sendereihe Wildes Deutschland über die gesamte deutsche Donau vom Schwarzwald bis Passau gedreht. Im Rahmen dieser Recherche habe ich unter anderem auch diesen freifließenden Flussabschnitt zwischen Straubing und Vilshofen kennengelernt. Da habe ich erst verstanden, was es bedeutet, dass es kaum noch Flüsse in Deutschland gibt, die noch frei fließen dürfen. Wir sind ja die deutsche Donau komplett abgeflogen und da sieht man dann plötzlich 40 Kilometer Fluss, der wieder leben darf! Das fand ich sehr beeindruckend.
Im Rahmen des Filmes über die Gesamtdonau war es aber kaum möglich darauf einzugehen. Daher habe ich beim Fernsehen vorgeschlagen, dass wir einen eigenen Film über die freifließende Donau drehen und bin damit offene Türen eingerannt. Auch deshalb, weil das Thema Donauausbau damals politische Brisanz in den Film brachte.
Wann ist der Film entstanden?
Jürgen Eichinger: Im und nach den Jahrtausendhochwasserjahr 2013. Da haben wir auch die im Film gezeigten Hochwasserbilder in Passau gedreht. Damals wurde der Hochwasserschutz endlich diskutiert und angegangen. Dazu mussten Passau bzw. ganz Bayern erst unter Wasser stehen. Inzwischen ist das ja zumindest in Teilen gelöst worden. Insofern hat auch der Film ein bisschen was angestoßen, denn das Thema hat man ja viele Jahre lang hinten anstehen lassen, da die Schifffahrt und die Wirtschaft im Vordergrund standen.
Sie zeigen in Ihrem Film viele kleine Flussjuwelen oft in Nahaufnahme, in längeren Einstellungen oft nichts Spektakuläres, sondern viele kleine Schönheiten. Glauben Sie, dass ein solcher Film in Zeiten von „höher-schneller-weiter“ die Menschen noch erreicht? Oder erreicht er sich vielleicht gerade deshalb, weil viele Menschen sich nach Entschleunigung sehnen?
Jürgen Eichinger: Ich kann keinen Actionfilm aus einer idyllischen Auenlandschaft machen! Dass Thema mit seinen ruhigen impressionistischen Sequenzen trifft natürlich nicht die Masse an Zuschauern, wie ein spektakulärer Actionfilm oder Krimi. Dennoch kann man im Film immer noch etwas nachhelfen, wenn man beispielsweise zu Tageszeiten dreht, wo eine sonst eher unspektakuläre Auenlandschaft in ein besonderes Licht gerückt wird; Oder das Drama um das Hochwasser, der oft kritisierte Biber, für den ich im Film ein Plädoyer halte, oder die Beutelmeisen, die bei Sturm ihr Nest bauten. Da hat mir der starke Wind schon die Kamera fast weggerissen und die haben immer noch an ihrem Nest weitergebaut…!
Aber ich bin der Meinung, wenn man schon so ein Kleinod hat, dann muss man den Mut haben, das auch so zu zeigen und hoffen, dass man die Leute erreicht, die das haben wollen – und vielleicht auch noch ein paar andere. Wir übersehen heute oft diese kleinen Dinge am Wegesrand und da empfinde ich es als meine Aufgabe, zu zeigen welche kleinen Paradiese wir vor der Haustüre haben. Die sind vielleicht nicht so offensichtlich spektakulär, aber im Kleinen wunderschön. Und jeder Wanderer kann diese Dinge entdecken und erleben. Da muss man sich einfach mal die Zeit nehmen.
Wie schaffen es Naturfilmer wie Sie, die vielen seltenen Tiere und Pflanzen aufzuspüren, die sie in ihren Filmen so scheinbar unbedarft in ihrem natürlichen Lebensraum zeigen? Muss man als Naturfilmer besonders viel Geduld haben?
Jürgen Eichinger: Glauben Sie mir, Geduld habe ich gar keine! Was mich antreibt ist der Jagdtrieb! Ich bin zwar kein Jäger und habe mit der Jagd nichts am Hut, aber ich merke, wenn ich mit der Kamera auf der Pirsch bin, dann werden archaische Instinkte in mir ausgelöst, die mich zum Jagen treiben. Die besondere Lichtstimmung oder den Vogel, der etwas Besonderes tut, möchte ich dann unbedingt erwischen. Vorher gehe ich nicht! Dem zuvor steht natürlich die trockene nüchterne Recherche, an welchen Stellen und zu welcher Tageszeit schöne Bilder entstehen könnten.
Was muss Ihres Erachtens passieren, damit die letzten intakten Flusssysteme erhalten bleiben bzw. ein Umdenken bei den schon verbauten Flussabschnitten erfolgt?
Jürgen Eichinger: Sehr viel! Ich glaube aber nicht, dass ich das noch erlebe. Es gibt ja fast keine unverbauten Flussabschnitte mehr in Deutschland. An der Isar, wo wir aktuell drehen, gibt es Interessenkonflikte zwischen Energie- und Wasserwirtschaft, Fischerei, Freizeitnutzung und Schutz. Wenn ich diese Diskussion höre, denke ich mir, es müsste viel mehr Einsicht her. Aber die ist ja oft das, was in unserer Gesellschaft am dünnsten gesät ist, gerade wenn es um den Naturschutz geht. Die Leute, die darum kämpfen sind in der Minderheit und es geht letztendlich immer um Geld. Daher können wir froh sein, wenn wir die letzten paar Flusskilometer, die noch frei fließen, erhalten können. Aber dass Flussabschnitte und Kraftwerke im großen Stile zurückgebaut werden, wird gerade bei den großen Flüssen nicht der Fall sein.
Donau, Isar und Ilz haben Sie bereits in faszinierenden Bildern festgehalten. Welchen Fluss würden Sie zukünftig gerne portraitieren?
Jürgen Eichinger: Wir drehen aktuell zwei Filme. Einen an der oberen Isar und einen an der Ilz. Den Film über die Ilz habe ich schon jahrelang vorgeschlagen und darf ihn endlich drehen! Der Film ist auf „neubayerisch“ ein Reload von der Ilz, einem meiner ersten Naturfilme, den ich 1995 gedreht habe. Die Ilz war schon damals eine der letzten Wildflüsse in Bayern. Damals hat kein Mensch den Fluss gekannt und der Film war ein Riesenerfolg. In der Regel drehe ich Filme, wenn ich eine Message damit vermitteln kann, nicht damit es idyllische Bilder im Fernsehen flimmert. Nur dann habe ich den Eifer mich zwei Jahre lang bei Wind und Wetter ins Gelände zu setzen. Auch durch meinen Film wurde die Ilz als Flusslandschaft des Jahres 2002/2003 gewählt. Jetzt nach 20 Jahren möchte ich mir anschauen, was sich verändert hat. Denn gerade in der heutigen Zeit, in der immer nur in die Zukunft geschaut wird, fehlt oft der Blick zurück. Doch gerade in der Natur braucht Veränderung immer lange Zeiträume. Die Ilz hat das Glück, das sie ihre Ursprünglichkeit behalten durfte. Es wird Filmthema sein woran das liegt und warum es dort funktioniert. Ein positives Schicksal! Das kann ich heuer zum Glück drehen!